Stirbt die Feldlerche auf dem Birrfeld bald aus?

Vogelarten wie die Feldlerche, die auf Ackerland brüten, werden auch im Aargau immer seltener. Der Hauptgrund: Biodiversitäts-Förderflächen sind hier besonders rar, wie exklusive Daten des Kantons zeigen. Es gibt aber auch positive Beispiele.

Aargauer Zeitung, erschienen am 13. September 2024  – Bilder: Severin Bigler

Der Abstimmungskampf um die Biodiversitätsinitiative ist eine Zahlenschlacht. Wie viele Flächen gibt es bereits, auf denen die Artenvielfalt ausreichend gefördert wird – und wie viele mehr bräuchte es, um sie zu langfristig zu erhalten? Je nachdem, wen man fragt, fallen die Antworten anders aus.

Bauernverbandspräsident Markus Ritter kämpft an vorderster Front gegen die Vorlage. Die Statistiken zu den verschiedenen Förderflächen in der Landwirtschaft kennt er im Schlaf. Zahl um Zahl rattert er bei seinen Auftritten herunter und hebt dabei immer wieder den Aargau hervor.

Auf dem Acker verschwinden besonders viele Arten

Selbst in einem grossen Ackerbaukanton wie dem Aargau werde die Biodiversität schon auf 20 Prozent der Landwirtschaftsfläche gefördert, sagte Ritter etwa im Streitgespräch bei Radio SRF. Tatsächlich wurden die sogenannten Biodiversitätsförderflächen seit den 90ern stark ausgeweitet.

Auf den Ackerflächen sind Biodiversitätsförderflächen vergleichsweise selten.

Was Ritter aber nicht sagt: Auch im «Ackerbaukanton» liegt die überwiegende Mehrheit dieser Flächen nicht auf dem Acker, sondern im Dauergrünland. Und: Auf dem Ackerland, das im Aargau rund 60 Prozent des Kulturlandes ausmacht, ist der Artenschwund besonders gross. Weil hier die Produktion am intensivsten ist.

Im Birrfeld, der einstigen «Kornkammer des Aargaus», ist der Konflikt zwischen Nahrungsmittelproduktion und Naturschutz besonders ausgeprägt.

Für viele ist es das heute noch, eine Kornkammer. Denn obwohl durch den Flugplatz, die Autobahnen und Industrie viel Landwirtschaftsland verloren ging, ist das Birrfeld bis heute eines der grössten offenen Ackerbaugebiete im Aargau. Der topfebene, kiesige Boden eignet sich besonders gut für den Getreideanbau, aber auch Mais, Zuckerrüben, Salatköpfe oder Soja wachsen hier, wie ein Spaziergang durch die Felder zeigt.

Auf einem der Felder wachsen Sojabohnen.

Mit dabei ist eine, die den Zustand der Biodiversität im Birrfeld gut kennt: Judith Zellweger. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Vogelwarte Sempach. Die unabhängige Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz, die sich sonst nicht politisch äussert, unterstützt die Biodiversitätsinitiative.

Ornithologin Judith Zellweger beobachtet schon jahrelang Vögel auf dem Birrfeld.

Acht Schweizer Vogelarten brüten fast nur im Ackerland: Wachtel, Rebhuhn, Kiebitz, Feldlerche, Dorngrasmücke, Schwarzkehlchen, Schafstelze und Grauammer. Ihre Bestände sinken rasant, anders als bei den Vogelbeständen im Wald und im Siedlungsraum konnte der Rückgang – mit Ausnahme des Schwarzkehlchens – nicht gestoppt werden. Darauf wies die die Vogelwarte schon vor Jahren in einem Rundbrief hin.

Einer dieser Vögel ist Judith Zellweger besonders vertraut: die Feldlerche. Mit ihr hat sie sich erstmals 2006 während ihrer Masterarbeit befasst, einer Feldstudie im Emmental. Der Vogelart ist sie bis heute treu geblieben, nur der Forschungsort hat gewechselt – ins Birrfeld.

Die Feldlerchen-Männchen haben eine Haube, die sie zur Balz und bei Gefahr aufstellen. (Bild: Markus Jenny/zvg)

Jeden Frühling zur Paarungszeit beobachtet die Aargauerin hier die trillernden, senkrecht in den Himmel schiessenden Feldlerchen-Männchen. Die Reviere der Vögel markiert sie auf einer Karte und liefert so die Bestandeszahlen. Daneben dokumentiert sie weitere Brutvögel.

«Es gäbe genug Platz hier für die Feldlerche»

Weil sich der Bestand der Feldlerche seit den 1990er-Jahren mehr als halbiert hat, startete der Kanton 2020 ein Förderprojekt in den grössten Brutgebieten, unter anderem dem Birrfeld. Ende Jahr läuft das Pilotprojekt aus, die Resultate fliessen in ein Folgeprojekt ein. Zellweger zeigt sich ernüchtert. Vor allem über die Situation im Birrfeld.

Mit dem Feldstecher stellt Zellweger fest, wo die Brutpaare ihre Reviere etablieren.

Jedes Jahr zählt die Ornithologin weniger Feldlerchen, auch diesen Frühling wieder. Überrascht hat sie das nicht, es stimmt sie aber nachdenklich. «Es gäbe genug Platz hier im Birrfeld für die Feldlerche», sagt sie. Doch, dass in absehbarer Zeit die nötigen Schritte unternommen werden, sei kaum realistisch. «Ich kann nicht sagen, wann genau. Aber wenn es so weitergeht, wird sie auch hier verschwinden», so Zellweger.

Weniger als 0,5 Prozent sind Förderflächen

Dabei weiss man bei der Feldlerche besser als bei anderen Vogelarten, was sie braucht, um sich wieder zu vermehren. Das Wichtigste: mindestens fünf Prozent Biodiversitätsförderflächen auf der Ackerfläche. Im Birrfeld beträgt der Anteil aller Förderflächen gerade mal 1,7 Prozent. Auf der Ackerfläche, dort wo die Feldlerche im Mittelland ihren Lebensraum hat, liegt er bei nur 0,5 Prozent.

Immerhin eine positive Entwicklung gibt es zu vermelden, wie der Kanton auf Anfrage schreibt: Die Lage der Förderflächen hat sich verbessert, so konnten im Hauptbrutgebiet sogenannte Buntbrachen angelegt werden. Das sind Felder, auf denen eine artenreiche Mischung aus mehrjährigen, einheimischen Wildkräutern ausgesät wird und die ausserhalb der Brutzeit der Vögel gemäht werden.

Die meisten Blumen in der Buntbrache sind Ende August verblüht. Links befindet sich ein Zuckerrübenfeld.

Eine dieser Buntbrachen wurde Anfang Jahr jedoch bereits wieder umgepflügt. Die zweite liegt zwischen einem relativ kleinen Zuckerrübenfeld und einer Kunstwiese. Vis-a-vis ist ein Maisfeld. «Dass es hier auf kleinem Raum so viele verschiedene Kulturen gibt, ist super für die Feldlerche», sagt Zellweger. So finde sie nicht nur genug Insekten, sondern auch einen neuen Platz für die zweite Brut.

Der Trend geht aber in die andere Richtung: Immer weniger Betriebe bewirtschaften immer grössere Felder mit immer grösseren Maschinen.

Früher war der Ackerbau im Birrfeld viel kleinteiliger:

Umso wichtiger wären ausreichend Biodiversitätsflächen als Ausgleich. Nicht nur für die Feldlerche, sondern auch für andere Ackervögel. Ebenso für ihre Nahrungsquelle, Spinnen, Würmer oder Insekten. Vor allem auf Letztere ist auch die Landwirtschaft als Bestäuber oder als natürliche Schädlingsbekämpfer angewiesen.

Eine Wespenspinne hat ihr Netz zwischen den Grashalmen in der Buntbrache gespannt.

Der Anreiz, Förderflächen zu schaffen, ist im Birrfeld jedoch gering bis vernachlässigbar. Dies aus drei Gründen:

  • Erstens gibt es auf Ackerland generell keine Mindestvorgabe für solche Flächen. Die vom Bundesrat beschlossene 3,5-Prozent-Regel wurde im Sommer vom Nationalrat gekippt.
  • Zweitens erhalten die Bäuerinnen und Bauern mit Land im Birrfeld auch für die sogenannte Vernetzung der Förderflächen keine Beiträge. Dabei geht es darum, dass die Flächen an geeigneten Stellen angelegt werden und miteinander verbunden sind. Um Geld für solche Massnahmen zu erhalten, müssten die Betriebe gemeinsam einem Vernetzungsprojekt zustimmen. Eine Voraussetzung: Auf mindestens fünf Prozent der Fläche muss von Anfang an die Biodiversität gefördert werden.
  • Drittens verpflichten sich die Bäuerinnen und Bauern innerhalb des kantonalen Feldlerchenförderungsprojekts nicht dazu, Massnahmen umzusetzen. Vielmehr erhalten sie eine Prämie, wenn auf einem ihrer Felder ein Feldlerchenpaar brütet. Wie viel sie dafür tun möchten, bleibt ihnen überlassen. Eine Beratung ist freiwillig.

Was ein Vernetzungsprojekt bewirken kann, zeigt sich in den anderen vier Fördergebieten: Suhrental, Ruckfeld, Wabrig und Melerfeld. Hier liegt der Anteil der Biodiversitätsförderflächen bei knapp 10 Prozent und mehr. Sechsmal so hoch wie im Birrfeld.

Das Melerfeld mit einem herausragenden Anteil von 20,7 Prozent ist das einzige Gebiet, in dem es keine Prämie für Feldlerchenreviere gibt, sondern Beiträge für biodiversitätsfördernde Massnahmen. Ein Beispiel mit grosser Wirkung: Das Getreide weiter aussäen, damit die Vögel besser darin brüten können.

Zusammenarbeit ist entscheidend

Fast noch wichtiger sei, dass der Natur- und Vogelschutzverein hier eng mit der Landwirtschaft zusammenarbeite, sagt Zellweger. Im lokalen Naturschutzprojekt «Biodiversität im Melerfeld» reissen etwa Freiwillige für die Bauern invasive Pflanzen auf den Förderflächen aus. Das alles scheint sich auszuzahlen: Das Melerfeld ist das einzige Brutgebiet, in dem sich die Feldlerche seit Beginn des Förderprojektes wieder leicht vermehrt hat.

Zurück aufs Birrfeld. Hier sind die Versuche, eine engere Zusammenarbeit zu etablieren, ins Leere gelaufen. Das liege nicht nur an der intensiven Landwirtschaft, sondern auch an den vielen anderen Ansprüchen, die an dieses Ackerbaugebiet gestellt würden, sagt Zellweger. Neben Kiesabbau und Flugplatz vor allem die Freizeitnutzung. So wird das Ackerland heute auch als Hundespielplatz, zum Polospielen oder für das Argovia Fest genutzt.

Im Feldlerchengebiet befindet sich auch eine ehemalige Kiesgrube. Während der Brutzeit wurden deshalb die Auffüllarbeiten ausgesetzt.

Es gehe ihr nicht darum, all das zu verbieten, sagt Zellweger. Vielmehr wünscht sie sich eine bessere Lenkung der verschiedenen Interessengruppen und mehr Rücksichtnahme auf die Brutzeit der Feldlerche.

In einem Punkt gibt es aus Sicht der Ornithologin Fortschritte: Das diesjährige Argovia Beizlifäscht wurde nach einer Beschwerde von Pro Natura und BirdLife Aargau an einen neuen Ort ausserhalb des Brutgebietes verlegt.

Mit Blick auf die notwendigen Anpassungen in der Landwirtschaft wünscht sich Zellweger mehr lokale Projekte wie jenes im Melerfeld. Massnahmen von oben herab anzuordnen, bringe nichts, sagt sie, die selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Von der Initiative erhofft sie sich deshalb auch, dass die breite Bevölkerung für die Bedeutung der Biodiversität sensibilisiert wird.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..