Seltener Neubau im Hochgebirge

Erst der Zustupf der SAC Lägern ermöglichte den Bau der neuen Rothornhütte ob Zermatt. Die alte musste aufgegeben werden, weil durch den Klimawandel der Permafrost unter ihr taute. Wie baut man im Hochgebirge? Ein Besuch auf 3180 Metern über Meer.

Aargauer Zeitung, erschienen am 13. August 2024  – Bilder: Alex Spichale

Zwischen den Nebelschwaden hindurch sucht der Air-Zermatt-Pilot den Weg.

Für einen Moment hüllt der Nebel den Helikopter ein. Die beiden Gletscher links und rechts hat er verschluckt, ebenso das Matterhorn auf der andern Talseite. Vom Cockpit aus ist nur noch ein schmaler Felsgrat zu sehen, dem der Pilot der Air Zermatt entlangfliegt.

Ein Kiesplatz hinter der SAC-Hütte, kaum breiter als die Rotorblätter, reicht zum Landen aus.

Aus dem Nichts taucht die Silhouette eines Hauses auf. Hier, oberhalb von Zermatt auf 3180 Metern über Meer, steht die modernste Schweizer SAC-Hütte. Sie konnte erst durch Aargauer Unterstützung gebaut werden. Unter der alten Hütte war der Boden langsam abgerutscht.

Die 3,6 Millionen für den Neubau konnte die bisherige Hüttenbesitzerin, die SAC-Sektion Oberaargau, jedoch nicht alleine aufbringen. Deshalb sprang die SAC Lägern aus Baden ein. Sie ist nun auch zur Hälfte Eigentümerin der neuen Rothornhütte. Dem Club ging es vor allem darum, Bergsteigerinnen und Bergsteiger zu unterstützen.

Hier befindet sich die Rothornhütte:

Von Zermatt bis zur Rothornhütte sind bereits 1700 Höhenmeter zu überwinden, Seilbahnen gibt es keine. Die umliegenden Gipfel, darunter das beliebte Zinalrothorn, an einem Tag zu erreichen, ist deshalb praktisch unmöglich.

Der Nebel vermasselt den Plan

Ohne Helikopter geht nicht viel. Das zeigt sich an diesem Montagmorgen Ende Juli nur zu gut. Zäher Nebel hockt im Mattertal. Ans Fliegen ist nicht zu denken, als ab sieben Uhr Bauarbeiter grüppchenweise am Heliport am Dorfrand eintreffen. Während sie sich draussen die Zeit mit Zigaretten und Smartphone vertreiben, bespricht Co-Bauleiter Manfred Bärtschi mit dem Baumeister im kleinen Empfangsraum zwischen Souvenirständern die Fortschritte.

Co-Bauleiter Manfred Bärtschi

An diesem Tag steht das Fundament der Terrasse an. Ein kompliziertes Unterfangen: Der flüssige Beton muss kübelweise zur Baustelle geflogen werden. Betonmischer und Lastwagen stehen auf Abruf bereit. Doch zweieinhalb Stunden später vermasselt der Nebel den Plan endgültig. Er hat sich zwar gelichtet, doch der Flugplan ist nun gedrängt. Der Baumeister diskutiert noch mit der Sekretärin, gibt dann aber nach. Andere brauchen den Helikopter dringender.

Fast der gleiche Komfort wie im Tal

Co-Bauleiter Bärtschi fliegt trotzdem hoch, um sich ein Bild zu machen. Bei seinem letzter Besuch wurde gerade die Baugrube angelegt. Nun ist die Hütte fertig gebaut, bis eben auf die Terrasse. Seit Anfang Juli übernachten hier die ersten Gäste.

Beim Eingang muss sich Bärtschi zunächst einen Weg durch die Funktionsjacken und T-Shirts bahnen. Sie hängen an Seilen, quer durch den Raum gespannt.

Die Wäscheleine in der neuen SAC-Hütte ist improvisiert.

«Die Wäscheleine ist noch nicht ausgereift», sagt Daniela Brielmaier mit einem verschmitzten Lachen. Sechs Saisons hat die gelernte Kinderkrankenschwester in der alten Rothornhütte erlebt, seit 2019 ist sie Hüttenwartin. An den Neubau muss auch sie sich erst noch gewöhnen. «Plötzlich haben wir hier oben fast den gleichen Komfort wie im Tal», sagt sie.

Hüttenwartin Daniela Brielmaier.

Der warme Teppichboden, der Radiator an der Wand, das helle Fichtenholz: Ausser den Crocs erinnert gar nichts an eine SAC-Hütte. Schon gar nicht der Aufenthaltsraum mit den Panoramafenstern und den filigranen LED-Lampen.

Die LED-Lampen sind elegant, aber für eine SAC-Hütte ungewohnt.

Dass eine SAC-Hütte von Grund auf neu gebaut wird, kommt selten vor. Das Reglement des Zentralverbandes verbietet es, Hütten an neuen Standorten zu eröffnen. Wenn immer möglich renovieren die Sektionen ihre Hütten – um Ressourcen zu schonen, aber auch um Geld zu sparen.

Die alte Hütte stand auf Permafrost

Auch bei der Rothornhütte wurde eine Totalsanierung lange diskutiert, letztlich aber als zu aufwendig befunden.

Die neue Rothornhütte, mit Triftgletscher und Wellenkuppe im Hintergrund.

Das Problem: Die alte Hütte stand auf instabilem Permafrost. Das Eis im Boden unter ihr, das über Jahrtausende Erde, Kies und Geröll wie Mörtel zusammengehalten hatte, schmolz langsam ab. Kaum war die Hütte 1948 fertig gebaut, zogen sich erste Risse durch die Bruchsteinmauern.

Die alte Rothornhütte wurde 1948 auf instabilem Boden gebaut. Inzwischen ist sie verschwunden. (Bild: © A. Perren-Barberini)

1965 erhielt Hütte einen Stahlgürtel, der sie wie ein Fass zusammenhielt. Doch durch die Spannungen hatten sich die Wände trotzdem weiter verschoben, stellenweise war das Fundament um zehn Zentimeter abgesackt. «Es war klar, dass endlich etwas passieren muss», sagt Hüttenwartin Brielmaier

Die alte Rothornhütte ist nicht die erste, die wegen der Folgen des Klimawandels ersetzt werden musste. Auch die Mutthornhütte bei Kandersteg schloss im Sommer 2021 für immer. Die Felssturzgefahr war zu gross geworden. Eine Studie soll bis Anfang 2025 zeigen, welche der 153 SAC-Hütten sonst noch durch den Klimawandel gefährdet sind.

Die neue Hütte (oben rechts) ist umgeben von Geröll. Der Permafrost darunter ist nicht sichtbar.

Die neue Rothornhütte steht auf einer Felsnase, 18 Meter unterhalb der alten, inzwischen abgebrochenen Hütte. Damit der Standort diesmal sicherer ist, hat die Sektion Oberaargau ein geologisches Gutachten erstellen lassen.

Am Berg gelten strenge Bauvorschriften

Noch vor Baubeginn sorgten die Behörden für eine unliebsame Überraschung: So verlangte das Walliser Umweltamt, dass die Natursteine der alten Hütte in der neuen wiederverwendet oder mit dem Helikopter ins Tal geflogen würden. Erst dann würde die Baubewilligung erteilt.

Geplant war, die Steine – einst in Handarbeit aus dem Geröll rund um die Hütte gebrochen – in der Umgebung zu verteilen. Doch am Berg gelten die gleichen Bauvorschriften wie im Tal, auch wenn die Logistik ungleich komplizierter ist.

769 Flüge wären nötig gewesen, um die 460 Tonnen Steine abzutransportieren. Kostenpunkt: 400’000 Franken. Nach einer Beschwerde mit anwaltlicher Unterstützung einigte man sich auf einen Kompromiss: Die Steine werden nun grösstenteils in der Terrasse der neuen Hütte verlegt.

Manfred Bärtschi und Daniela Brielmaier bereiten Material für einen Flug vor.

Für den Transport per Helikopter ist bereits im normalen Bau eine halbe Million Franken vorgesehen, rund ein Siebtel der Gesamtkosten. Alles musste eingeflogen werden: Das Material, die Arbeiter, aber auch die Schneefräse, damit der Bau im Mai überhaupt wieder aufgenommen werden konnte.

Ist die Kolbenmaschine zu viel Luxus?

Für Bärtschi ist es das erste Mal, dass er am Bau einer SAC-Hütte beteiligt ist. «Hier oben muss man kreativ denken und vor allem effizient arbeiten.»

In diesem Sinne wird auch das alte, noch funktionstüchtige Wasserreservoir weiter genutzt. Da dieses Schmelzwasser der Gletscher auffängt, füllt es sich wie bisher nur bei Temperaturen über null. Neu gibt es dank der Solaranlage auf dem Dach Warmwasser in grösseren Mengen. Für Gäste steht deshalb sogar eine Dusche bereit: eine Seltenheit in SAC-Hütten.

Der Solarstrom vom Dach wärmt das Wasser für die neue Gästedusche.

Mit dem neuen Warmwasser läuft auch der Gastro-Geschirrspüler in der Küche. Auf dem Buffet steht sogar eine Kolbenmaschine, ebenfalls mit  Solarstrom betrieben, bei schlechtem Wetter mit Gas. Ist das nicht zu viel Luxus? Steht doch im Leitbild des SAC, dass der Charakter einer einfachen Gebirgsunterkunft das herausragende Merkmal der Hütten bleiben soll.

Die Küche ist mit einem Gastro-Geschirrspüler und einer Kolbenmaschine ausgestattet.

Bei den meisten Neuerungen stehe nicht der Komfortgewinn im Vordergrund, entscheidend seien die ökologischen Vorteile, sagt SAC-Chefarchitekt Ulrich Delang einige Tage später am Telefon. Die Solaranlage auf dem Dach, die den Dieselgenerator ersetzt. Die Gastromaschine, die viel weniger Wasser verbraucht als der Abwasch von Hand. Oder die Panoramafenster, die dank Treibhauseffekt als CO2-neutrale Heizung dienen. Oft seien die Sanierungen sogar zwingend, um die Vorschriften zu erfüllen, so Delang.

Und was meint die Hüttenwartin? Trotz der Vorzüge der neuen Hütte trauert sie vor allem der Einfachheit der alten ein wenig nach. «Man kommt eigentlich mit ganz wenig aus», sagt Brielmaier.


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