Problembaum BS012400 muss weg

Marco Hug verantwortet das Krankendossier von über 9000 Bäumen in Basel. 39 von ihnen wurden diese Woche gefällt – darunter auch eine der über 100-jährigen Pappeln am Birsköpfli. Das ist ihre Leidensgeschichte.

erschienen in der bz am 21. Januar 2023

Bilder: Nicole Nars-Zimmer

Für viele Spaziergänger und Velofahrerinnen gehören sie zum vertrauten Bild: die beiden Säulenpappeln am Birsköpfli oberhalb der Schwarzwaldbrücke. Mit ihren 30 Metern überragen sie die Brücke deutlich. Schlank und geradlinig recken sie sich dem Himmel entgegen, konkurrenzieren mit den beiden Roche-Türme im Hintergrund.

Doch das Schicksal von Pappel Nummer BS012400 ist seit zwei Monaten besiegelt: Sie steht auf der diesjährigen Fällliste der Stadtgärtnerei. Am Donnerstagmorgen packt ein Roboterarm den ersten ihrer wuchtigen Arme. Die integrierte Säge gleitet durch die Rinde wie durch Butter. Ein lautes Knacken. Schon ist das erste Stück Baum abgetrennt. Zehn Minuten später ist der Stamm vollständig entastet.

Jeder Baum hat ein Krankendossier

«Eigentlich verrückt, wie so ein altes Lebewesen vom einen auf den anderen Moment verschwindet», sagt Baumpfleger Marco Hug. Die Fällaktion, die eine externe Firma für die Stadtgärtnerei ausführt, verfolgt er aus einigen Metern Distanz. Sie ist für den 51-Jährigen, der seit 18 Jahren bei der Stadtgärtnerei arbeitet, ein «notwendiges Übel».

In seinem Kreis, Basel Ost, verantwortet Hug die Pflege von über 9000 Bäumen. Mindestens alle zwei Jahre kontrolliert er mit seinem Team den Gesundheitszustand jedes einzelnen. Unter den 39 Exemplaren, über die er im vergangenen Herbst das Todesurteil verhängte, sei die eben gefällte Säulenpappel wahrscheinlich das älteste, sagt der Baumpfleger.

Über 100 Jahre, schätzt er, steht sie schon auf dem asphaltierten Platz vor dem Klubhaus der Basler Pontoniere. Ein Pflanzdatum ist in ihrer Akte – eine solche führt die Stadtgärtnerei für jeden Baum – nicht vermerkt, dafür aber ihre Leidensgeschichte. Dass dem Baumriesen etwas zusetzt, bemerkt Hug demnach erstmals 2017: «Sehr viel Totholz, + 20 Zentimeter», notierte er und liess die Baumkrone im nächsten Winter erstmals stutzen. 2020 noch einmal.

Todesurteil fiel nach Hammertest

Geplant war, die Pappel in diesen Tagen um weitere zehn Meter in der Höhe zu kappen. Doch als Hug den Stamm des «Problembaums» im Herbst mit dem Hammer abklopfte, habe es «so richtig hohl» getönt. Der Fall sei damit klar gewesen: Aus Sicherheitsgründen muss der Baum weg.

Anhand der Fruchtkörper, die aus der Rinde wuchsen, konnte Hug nun auch den Schädling bestimmen: einen (essbaren) Pilz, den Austernseitling. Allgemein beobachtet er, dass die Stadtbäume nach einem Schädlingsbefall schneller eingehen. Die Parasiten würden vom Klimawandel profitieren, da sie sich in geschwächten Bäumen schneller ausbreiten können.

Zwei Bäume wegen Einsprachen nicht gefällt

Einer der beiden Baumpfleger hat unterdessen mit der Motorsäge am Fuss des Stammes einen grossen Keil herausgeschnitten. Mehrere Fussgänger beobachten das Spektakel, eine Velofahrerin zückt ihr Handy und filmt mit. Es komme immer wieder vor, dass er empörten Leuten erklären müsse, wieso eine Fällung nötig sei, so Hug.

Auch wenn Stadtbäume als Klimaretter in aller Munde sind, hätten jene, die sich wehren, meist emotionale Gründe. An diesem Morgen sucht niemand das Gespräch. Zwei Bäume konnten jedoch wegen Einsprachen nicht wie geplant gefällt werden. Fürs Verständnis habe man Einsprechende auch schon von einer Hebebühne aus in einen hohlen Baum blicken lassen, sagt der Baumpfleger.

Der Arm des Fällmobils holt jetzt zum Todesstoss aus. Für einige Sekunden taumelt der kahle Stamm in der Luft, dann kracht er zu Boden.

Hug eilt zum Stumpf. Der Anblick bestätigt seine Diagnose. Nur die äussersten Zentimeter Holz des fast zwei Meter dicken Stammes leben noch. Der Rest ist durchgefault. Schwarze Bänder im Holz zeigen den Pilzzerfall.

Stumpf und Wurzelstock werden Hugs Teams in den nächsten Wochen ausgraben. Der Nachfolger-Baum ist bereits bestimmt. Es wird wieder eine Säulenpappel sein. «Ein Bäumchen mit 15 bis 20 Zentimeter Stammumfang», so Hug. Zum Vergleich: Die alte Pappel mass 453 Zentimeter.

Die Grösse der Jungbäume sei ein Konfliktherd, der sich mit der Klimathematik noch verschärft habe, sagt der Baumpfleger. «Am liebsten hätten viele Leute schon von Anfang an ein ‹richtigen› Baum.» Junge Bäume würden jedoch viel besser anwachsen. Die Stadtgärtnerei gehe aber auch Kompromisse ein, so etwa beim Erasmusplatz.

Die dort gepflanzten Mehlbeerbäume, die sich als Fehlentscheid herausgestellt hätten, würden nun durch ältere Bäume mit einem Umfang von bis zu 30 Zentimeter ersetzt, so Hug. Der Platz müsse im Sommer dringend gekühlt werden. Anfang März sollen die neuen Zürgelbäume gepflanzt werden.

Pappel hat Asphaltplatte verschluckt

Die richtige Baumsorte für den jeweiligen Standort zu finden, sei komplex – wegen des Klimawandels, aber auch, weil es schwierig ist, genügend Wurzelraum für die Bäume bereitzustellen, so Hug. Die vielen Kilometer Fernwärmerohre, die in den kommenden Jahren verlegt werden, machten die Situation nicht einfacher.

Bei Pflanzungen würde deshalb vermehrt auf schnellwüchsige Baumsorten gesetzt. Die Pappel ist so eine Sorte. Dass der Baum mit den engen Platzverhältnissen umzugehen weiss, zeigt sich, als ein Baumpfleger den Stumpf genauer inspiziert. Eine grosse Asphaltplatte ist tief in den Stamm eingewachsen. Ein verbleichter Tennisball klemmt in einer der Rindenfalten. Irgendwann in seinem langen Leben hat der Baum sie einverleibt.


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