Das Basler Rotlichtmilieu wandelt sich. Prostituierte lernten während der Pandemie, sich selbstständig übers Internet zu vermarkten. Einiges deutet darauf hin, dass gleichzeitig die Schwarzarbeit zunimmt. Der Kanton sieht das anders.
erschienen in der bz Basel am 21. November
Basel hat ein stattliches Rotlichtmilieu. Das ist weitum bekannt. Den letzten grossen Wachstumsschub erlebte das lokale Sexgewerbe, als 2016 die Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ausgeweitet wurde. Von einem «drastischen Überangebot» war die Rede. Eine Grossrätin forderte gar eine Kontingentierung.
Spätestens seit der Pandemie – aber auch schon davor – ist das Bild ein anderes: Jahr für Jahr sinkt die Zahl der Frauen aus EU-/EFTA-Ländern, die in der Schweiz während maximal 90 Tagen pro Jahr der Prostitution nachgehen dürfen: Während 2017 noch 2524 Sexarbeiterinnen beim Basler Amt für Wirtschaft und Arbeit angemeldet wurden, erreichte deren Zahl im 2021 einen Tiefststand von 1022.
Die Frage, die sich stellt: Arbeiten tatsächlich so viel weniger Frauen im Rotlichtmilieu? Oder hat vor allem die Schwarzarbeit zugenommen?
Wichtig zu wissen: In Basel-Stadt gilt das sogenannte «liberale Model mit Verbotsvorbehalt». Heisst: Es existiert keine Bordellbewilligung. Kurzzeit-Sexarbeiterinnen aus der EU dürfen ihre Dienste auch in Privatwohnungen anbieten; sie müssen aber gleichzeitig dort wohnen und von einem Arbeitgeber – also der Person, welche die Infrastruktur zur Verfügung stellt – bei den Behörden angemeldet werden.
Ziel sei, «möglichst wenig zusätzliche Regulierungen zu schaffen, welche die Sexarbeitenden in die Illegalität drängen könnten», so die offizielle Argumentation des Kantons.
Mit physischer Meldepflicht brachen Meldungen ein
Den grössten Einbruch der vergangenen Jahre erlebte das Sexgewerbe 2019. Der Kanton begründet dies im «Bericht zur Prostitution» mit der Einführung der Quellensteuer sowie dem angepassten Meldeverfahren: So können Sexarbeiterinnen seit Anfang 2019 nicht mehr online angemeldet werden, sondern müssen vor dem Arbeitsantritt persönlich bei der Beratungsstelle Aliena vorsprechen.
Hanna Lindenfelser, Geschäftsleiterin von Aliena und selbst auch beratend tätig, sagt, die physische Meldepflicht habe anfangs sicherlich einige Frauen abgeschreckt, die ein negatives Behördenbild hatten. Dennoch sei die Zahl der Frauen in Beratung in den vergangenen Jahren laufend gestiegen.
Bekannt ist, dass die Basler Regierung das Sexgewerbe in der Coronakrise strenger regulierte als vom Bund vorgeschrieben. So galt während insgesamt sieben Monaten im 2020 und im 2021 ein striktes Prostitutionsverbot. Die Folge: Sexarbeiterinnen wichen nach Baselland oder in andere Kantone aus. Vor allem aber wanderten viele in die Illegalität ab und boten ihre Dienste privat übers Internet an.
Bordelle suchen mühsam nach Sexarbeiterinnen
Wegen der «prekären Situation» und auf Druck von Bordellbetreibenden hob die Basler Regierung das Verbot im März 2021 auf. Die Zahl der gemeldeten Sexarbeiterinnen ist jedoch im Verlauf des Jahres nochmals deutlich gesunken.
Ein ehemaliger Bordellbesitzer, der anonym bleiben will, sagt, es sei schwierig, Sexarbeiterinnen zu engagieren. Noch vor der Pandemie habe er sich aussuchen können, an wen er die Zimmer vergab. «Jetzt wollen sich die Damen nicht mehr binden, weil weniger Kunden kommen», so der Bordellbesitzer.
Er wisse von ehemaligen Mitarbeiterinnen, die ihre Dienste stattdessen in einem grossen Apartment-Hotel anböten. «Die Besitzer drücken beide Augen zu.» Wie bereits zur Zeit des Prostitutionsverbots schalteten «die Mädels» eigene Inserate auf Internetplattformen. Freier würden an diesem Angebot vor allem die Anonymität schätzen.
Kontrollmöglichkeiten im Internet sind kleiner
Hanna Lindenfelser von Aliena sagt, manche Sexarbeiterinnen würden Wohnungen oder Hotels gegenüber klassischen Bordellen auch deshalb bevorzugen, weil sie so mehr über den Arbeitsort und die Bedingungen bestimmen könnten. Die Pandemie habe dazu geführt, dass viele Frauen alternative Arbeitsmöglichkeiten ausprobiert hätten. Digitale Internetplattformen würden immer häufiger genutzt.
Sonja Roest, Leiterin des Fachreferats und Koordinatorin des runden Tisches zur Prostitution, bestätigt, dass sich die Kontaktaufnahme immer mehr ins Internet verlagert. Die Zahl der Sexsalons sei seit Jahren rückläufig. Die Toleranzzone, die in der Bevölkerung am meisten Aufsehen erregt, mache seit jeher nur rund fünf Prozent des Basler Sexarbeitsmarkts aus.
Kanton will nationale Zusammenarbeit vorantreiben
Im Online-Bereich seien die Kontrollmöglichkeiten kleiner, sagt Roest. Die Polizeifahndung bekomme in den meisten Fällen jedoch trotzdem mit, wo die Dienstleistungen vollbracht werden. Sie sagt: «Im Austausch mit der Schwarzarbeitskontrolle und den NGOs haben wir nicht den Eindruck, dass illegale Prostitution zugenommen hat.»
Wie viele Frauen nach Baselland oder anderswohin abwanderten, ist laut der Chefkoordinatorin schwer zu beziffern, weil es bei der Prostitution anders als beim Menschenhandel keine koordinierte Zusammenarbeit auf Bundesebene gebe. «Der Überblick über den Sexarbeitsmarkt Schweiz fehlt.»
Der Kanton Basel-Stadt wolle dies ändern, sagt Roest. So habe das Fachreferat ein Konzept für eine nationale Vernetzung entwickelt. Ziel sei, dieses möglichst bald bei der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) einzugeben.
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