Stammt die Milch in Zukunft noch von Kühen?

Weil sie Methan rülpsen und damit den Klimawandel vorantreiben, stehen Kühe in der Kritik. Doch was ist die umweltfreundlichste Art, in der Schweiz Milch zu produzieren?

Der Futterroboter piept und blinkt, als er auf den Laufstall zusteuert. Für die Holstein-Kühe auf diesem Berner Bauernhof ist das Alltag. Sie fressen ungestört weiter, während der überdimensionierte Trichter an ihren Mäulern vorbeirollt und Futter ausschüttet. Bis zu zehn Mal pro Tag bringt er Nachschub, auch in der Nacht.

Zuerst schiebt der Roboter das alte Futter näher ans Gitter, dann leert er neues aus.

Kommt von hier die klimafreundlichste Milch der Schweiz? Gut möglich. Jedenfalls ist der Hof Teil des Projekts «Klimastar Milch», an dem 230 Betriebe teilnehmen. Und er ist derjenige mit dem kleinsten CO2-Fussabdruck: Pro Liter Milch entstehen hier 600 Gramm CO2-Äquivalente. Der Durchschnitt liegt bei 900 Gramm.

In Zeiten des Klimawandels hat die Milchproduktion einen schweren Stand: Sie verursacht mehr als die Hälfte der Treibhausgase aus der Landwirtschaft und gut sieben Prozent der Emissionen der Schweiz. Grund sind die grossen Mengen des klimaschädlichen Gases Methan, das Kühe vor allem beim Verdauen ausstossen. Darum ist es umso wichtiger, Milch möglichst umweltfreundlich zu produzieren.

Wie sieht diese Milchproduktion der Zukunft aus? Eine Annäherung in sieben Akten.

Inhaltsverzeichnis

«Wenn der Roboter die Spur verliert oder das Futterlager leer ist, ruft er mich aufs Handy an», sagt Ruedi Bigler, ein energischer, drahtiger Mann. Der 63-Jährige sieht in seiner engen grünen Jacke und den dazu passenden Hosen weniger aus wie ein Bauer als wie ein Mechaniker im Aussendienst.

Ruedi Bigler kann sich die Namen seiner 140 Kühe nicht mehr merken. Doch Tochter Manuela kennt sie alle.
Methan sparen für einen besseren Milchpreis

Mit seiner Frau Christine und den beiden erwachsenen Kindern Manuela und Simon führt er den Hof in Moosseedorf, einer Agglomerationsgemeinde von Bern. 1,5 Millionen Liter Milch geben die 140 Kühe der Biglers pro Jahr. Genug, um ein Dorf mit 5300 Einwohnenden mit Milch und Milchprodukten zu versorgen.

Wie der Futterroboter auf dem Hof seine Runden dreht:

Ruedi Bigler ist einer, der optimiert, wo er kann – auch die Klimabilanz des Betriebs. Der Präsident der Milchproduzentenorganisation Aaremilch hat das Projekt «Klimastar Milch» mit dem Lebensmittelkonzern Nestlé aufgebaut. Später kamen der Milchverarbeiter Emmi und die Zentralschweizer Milchproduzenten dazu.

Damit Nestlé und Emmi ihre selbst gesteckten Klimaziele erreichen, müssen die Emissionen der Milch sinken. Das ist auch im Interesse des Bundes, der das Projekt mit fast 16 Millionen Franken unterstützt. Bis 2027 sollen die 230 teilnehmenden Bauernhöfe nun zwei Ziele erreichen. Erstens: Die Treibhausgasemissionen der produzierten Milch sinken um 20 Prozent. Zweitens: Die Kühe fressen 20 Prozent weniger Futter, das auch der Mensch essen könnte. Dazu später mehr.

Wie die Bäuerinnen und Bauern diese Ziele erreichen, bestimmen sie mit. Es gibt eine Liste mit 16 Massnahmen, aus denen sie auswählen können. Zum Beispiel: die Kühe länger leben lassen oder das Futter optimieren. Wenn die Betriebe ihre Ziele am Ende des Jahres erreicht haben, erhalten sie eine Prämie von bis zu 5 Rappen pro Liter Milch.

Je mehr Milch pro Kuh, desto besser?

Die Biglers haben sich für eine Reihe von Massnahmen entschieden, die die Milchmenge pro Kuh steigern. «Klimaschonend produzieren heisst vor allem effizient sein», sagt Ruedi Bigler und erklärt im Stallbüro neben den Melkrobotern, was er damit meint.

Der Roboter merkt sich die Zitzenposition von jeder Kuh. So kann er die Melkbecher schneller ansetzen.

Mit zwei Bildschirmen kann er seine Herde überwachen. Die Daten von den Robotern und den Sensoren in den Halsbändern der Kühe zeigen, wie oft ein Tier wiederkäut oder wie gut es das Futter zu Milch umwandelt. Er sieht auch genau, wie viele Franken er mit jeder einzelnen Kuh verdient.

Je wirtschaftlicher eine Kuh ist, desto besser ist die Klimabilanz des Betriebs.

Eigentlich ist die Rechnung einfach: Bis eine Kuh ihr erstes Kalb bekommt, produziert sie nur Methan, aber keine Milch. Je mehr Milch sie in ihrem Leben gibt, desto tiefer fallen die berechneten Emissionen pro Liter aus. Die Holsteinrasse, die die Biglers züchten, sind die häufigsten Kühe der Welt, und sie geben auch am meisten Milch. Gut 11’000 Liter pro Kuh und Jahr sind es auf diesem Hof. Das ist weit mehr als die 7000 Liter, die eine durchschnittliche Schweizer Milchkuh erreicht.

Doch die Biglers haben eine weitere Massnahme ergriffen, um klimaschädliche Gase einzusparen: Sie haben sich eine Biogasanlage angeschafft. Denn auch die Gülle der Kühe setzt Methan sowie Lachgas frei. Am meisten Gase entstehen, wenn sich Kot und Urin mischen.

Auch Kuhfladen produzieren Treibhausgase, vor allem wenn sie sich im Stall mit dem Urin mischen.

Statt die Gülle in einer Grube zu sammeln, vergären sie die Biglers laufend in einem luftdichten Tank. Das Gas saugen sie ab, verbrennen es in einem Motor und erzeugen so Strom und Wärme zum Heizen.

Bei der Verbrennung wird zwar auch CO2 freigesetzt. Aber dieses nicht-fossile CO2 aus Kot und Urin der Kühe schadet dem Klima kurzfristig deutlich weniger, als wenn das Methan direkt in die Atmosphäre entweichen würde. Auch die vergorene Gülle geht nicht verloren: Sie dient wie die «normale» Gülle als Dünger.

Unter der weissen Haube der Biogasanlage zersetzen Bakterien die Mistbrühe und produzieren Methan.

Wo am Ende wie viele Emissionen anfallen, messen die Bauern und Bäuerinnen im Projekt nicht selbst, sie liefern nur die Daten: Wie viel und welches Futter ihre Kühe fressen, wie sie mit der Gülle umgehen und natürlich wie viel Milch und Fleisch sie produzieren. Daraus schätzen Forschende der landwirtschaftlichen Hochschule HAFL den CO2-Fussabdruck.

Bei den Biglers sind das eben 600 Gramm CO2 pro Liter Milch – der mit Abstand tiefste Wert aller 230 Betriebe. Aber ist diese klimafreundliche Milch auch die beste für die Umwelt? Die kurze Antwort: nicht unbedingt.

Denn die Zucht auf eine hohe Milchleistung hat einen Nachteil. Von Gras allein werden die Kühe längst nicht mehr satt. Sie brauchen auch Proteine und Kohlenhydrate in konzentrierter Form, also Soja, Getreide und Mais. Bei den Biglers frisst eine Kuh 200 Gramm Kraftfutter pro Liter Milch. Das Problem dabei: Die Kühe futtern den Menschen das Essen weg.

Eine Milch nur aus Gras

Ana und Lukas Burger, die auch am Projekt teilnehmen, verfolgen deshalb einen ganz anderen Ansatz. Ihre Philosophie: möglichst viel Milch nur aus Gras. Das Paar pachtet seit 2017 einen Hof auf dem Friedlisberg im Aargau, der der Stadt Zürich gehört. Dadurch bot sich den Burgers die Chance, eine Kuhherde neu aufzubauen. Einzige Bedingung der Stadt Zürich war, dass nach Biorichtlinien produziert werden musste.

Ana Burger will Kühe züchten, die aus dem Gras auf der Weide möglichst viel Milch produzieren.

Die Burgers entschieden, dass ihre Kühe «das Futter selbst holen sollen», wie es Ana Burger ausdrückt. Die 40-Jährige hat ihre Haare zu einem losen Knoten zusammengebunden, unter einem Käppi auf dem «Livestock improvement» steht: also Verbesserung der Viehhaltung. Begleitet von Hofhund Endo stapft sie über die Weide oberhalb des Stalls, wo ihre Herde grast.

Es ist eine von 23 gleich grossen Koppeln, die die 60 Kühe eine nach der andern abfressen. Von März bis Mitte November verbringen sie die meiste Zeit draussen. Die Rasse heisst Kiwicross. Sie wurde daraufhin gezüchtet, frisches Gras optimal zu verwerten.

Jede Woche läuft Burger die Weideflächen ab und misst die Höhe der Grashalme mit einem eigens dafür entwickelten Gerät. So weiss sie jederzeit, wie viel frisches Futter wächst. Kommt die Herde mit dem Fressen nicht nach, landet das überschüssige Gras als Winterfutter im Silo.

Den Grasmesser haben sich die Burgers aus Irland abgeschaut. Dort setzen Milchbauern seit jeher auf ein Vollweidesystem.

Die Kühe der Burgers sind klein und kompakt gebaut, auffällig sind vor allem ihre kugelrunden Bäuche. Sie wurden alle zur gleichen Zeit besamt und sind nun hochträchtig. Auch das ist Teil der Strategie: Wenn die Kühe im Frühjahr ein Kalb gebären und danach am meisten Milch geben, spriesst auf den Weiden besonders viel energiereiches Gras.

Wie sieht hier die Rechnung aus? Die Kiwicross-Kühe geben weniger Milch – mit knapp 7000 Litern pro Kuh und Jahr nur etwa halb so viel wie die Holstein-Kühe der Biglers. Sie fressen aber auch viel weniger. Und weil sie sich meist auf der Weide erleichtern, wo sich Kuhfladen und Urin nicht mischen, entstehen weniger klimaschädliche Gase.

Die dicken Bäuche der Kiwicross-Kühe sind nicht zu übersehen. Sie sind alle hochschwanger.

Insgesamt erreichen die Burgers so einen Wert von 800 Gramm CO2 pro Liter Milch. Damit liegen sie deutlich unter dem Durchschnitt. An die 600 Gramm der Biglers kommen sie jedoch nicht heran.

Bund will mehr Kühe auf der Weide

Doch welche Milch ist nun besser für die Umwelt? Die mit dem kleinsten CO2-Fussabdruck oder eine ohne Kraftfutter? Für die Agronomin Catherine Pfeifer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau ist es klar die Milch ohne Kraftfutter.

Pfeifer argumentiert mit einem Konzept, das sich «Flächenkonkurrenz» nennt. Hier ist die Rechnung eine andere, und sie würde unsere Ernährung verändern. Würden Soja oder Getreide direkt auf dem Teller landen, statt an Tiere verfüttert zu werden, könnten viel mehr Menschen satt werden. Eine solche Landwirtschaft würde Flächen und Emissionen sparen.

«Nur so können wir eine wachsende Bevölkerung ernähren, ohne die Umwelt übermässig zu belasten», sagt Pfeifer, die sich mit nachhaltigen Ernährungssystemen und der Rolle von Nutztieren beschäftigt. Im Idealfall, so die Wissenschaftlerin, sollten Kühe deshalb nur noch Gras fressen – und das, was auf den Äckern für sie übrig bleibt. «Das ist ein viel grösserer Hebel, als wenn einzelne Betriebe ihre Effizienz steigern.»

Kühe seien grundsätzlich mit Gras zu füttern, heisst es in der neuen Klimastrategie des Bundes.

Beim Bund sieht man das ähnlich. Das geht zumindest aus der neuen «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050» hervor. Etwas umständlich heisst es dort: «Die Produktion passt sich dahin gehend an, dass die ackerfähigen Flächen überwiegend für die direkte menschliche Ernährung genutzt und die verbleibenden Tiere grundsätzlich mit Gras der nicht ackerfähigen Grünlandflächen sowie Abfällen aus der Lebensmittelproduktion versorgt werden.»

Am besten für die Umwelt wären also kleine Bauernhöfe im Berggebiet oder in hügeligen Regionen. Die Kühe suchen ihr Futter auf Weiden, auf denen keine Äcker angelegt werden können, weil es dort zu steil, zu kalt, zu steinig oder zu nass ist. In der Schweiz wären die Voraussetzungen dafür ideal: 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sind Wiesen und Alpweiden, so viel wie in kaum einem anderen Land.

Doch ausgerechnet diese «Wunschbauernhöfe» sind vom Aussterben bedroht. Viele sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden. Das liegt vor allem am tiefen Milchpreis. Die Bauern in den Berggebieten werden durch ihn besonders hart getroffen, weil sie in steilen Lagen weniger Kühe halten können und ihre Produktionskosten nie so tief sein werden wie im Flachland.

Die Milchwirtschaft verlagert sich deshalb zunehmend aufs Ackerland, wo immer weniger Betriebe immer mehr mehr Milch produzieren.

Heute liefern die rund 500’000 Kühe, die in der Schweiz leben, die gleiche Menge an Milch wie vor zwanzig Jahren 700’000 Kühe. Gleichzeitig hat sich der Kraftfutterverbrauch verdoppelt.

Mit dem Projekt «Klimastar Milch» versucht der Bund dieser Entwicklung durch strengere Anforderungen ans Kraftfutter entgegenzuwirken. Um Prämien zu erhalten, genügt es nicht, die CO2-Bilanz zu verbessern. Die Kühe dürfen auch nicht mehr so viel Futter fressen, das auch der Mensch verwerten könnte. Die effizienten Biglers im Kanton Bern tun dies, indem sie mehr Zuckerrübenschnitzel, Weizenkleie oder auch Biertreber ins Futter mischen.

Die Holstein-Kühe der Biglers fressen auch Biertreber und Zuckerrübenschnitzel.

Aber auf seinen Feldern künftig keinen Mais und kein Getreide mehr für die Kühe anzubauen – wie das die Klimastrategie vorsieht – kann sich Ruedi Bigler nicht vorstellen. Er findet die Idee nicht durchdacht. Der Mais liefere viel Ertrag und sei wichtig für die Gesundheit seines Bodens. Er könne ihn nicht einfach durch Kartoffeln oder Linsen ersetzen. «Auch beim Bund kann mir niemand sagen, welche Kulturen wir statt des Futters anbauen sollen», sagt Bigler.

Noch 250 Gramm Käse pro Woche

Die Theorie der Flächenkonkurrenz ist zwar schnell erklärt, aber in der Praxis nicht so einfach umzusetzen. Das zeigt sich auch bei den Burgers. Würden alle Ackerflächen konsequent für die menschliche Ernährung genutzt, könnten auch sie nicht so weitermachen wie bisher. Denn ihre Weide war vor der Hofübernahme ein Acker.

«Alle verfügbaren Flächen im Tal für den Ackerbau zu nutzen, ist ein Wunschdenken», sagt Ana Burger. Gerade bei der Bioproduktion sei das Ausfallrisiko bei Kulturen wie Lupinen und Erbsen nochmals grösser als beim konventionellen Anbau. Zumindest für ihren Betrieb bezweifelt Burger deshalb, dass sie allein mit Pflanzen für den Menschen mehr Proteine produzieren könnte als mit der Milch und dem Fleisch ihrer Kühe.

Wohin also soll sich die Schweizer Milchwirtschaft entwickeln? Anruf bei Christian Hofer, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft. «Kühe sind die effizienteste Art, die vielen Wiesen und Weiden in der Schweiz zu nutzen», sagt Hofer. Zwar mache es auch im Mittelland Sinn, eine «gewissen Anteil an Kunstwiesen auf den Äckern zu erhalten» und das Gras den Kühen zu verfüttern. Langfristig sei es aber für die Umwelt besser, wenn die Milchproduktion unabhängiger werde vom Ackerfutter.

Doch das Projekt «Klimastar Milch» zeigt eben auch: Das Problem der Flächenkonkurrenz und das Methanproblem lassen sich nicht gleichzeitig lösen. Überspitzt gesagt, fressen Bergkühe zwar das richtige Futter. Aber ihre Milch hat einen deutlich höheren CO2-Fussabdruck, weil sie nicht so produktiv sind wie die Kühe im Tal.

Die Agronomin Catherine Pfeifer sagt deshalb: «Für eine klima- und umweltfreundliche Milchwirtschaft führt kein Weg daran vorbei, auch die Zahl der Kühe weiter zu reduzieren.» Das würde bedeuten: Es gibt weniger Milch.

Wir sollten nur noch halb so viel Milch trinken, haben Forschende berechnet. (Bild: Pxhere CC0)

Ein Forscher der HAFL hat kürzlich die Zukunft berechnet. Die Lösung: Wir konsumieren 30 Prozent weniger – also noch rund 3,7 Liter Milch oder 370 Gramm Hartkäse pro Woche, dazu das Fleisch der Rinder und Kälber aus der Milchproduktion (rund 140 Gramm pro Person und Woche). Denn dann würden die durch die Ernährung verursachten Treibhausgasemissionen so weit sinken, dass sie mit den Schweizer Klimazielen vereinbar wären.

In diesem Szenario würden die Kühe nur noch das Gras von nicht ackerfähigen Flächen sowie jenes von Kunstwiesen aus dem Ackerbau fressen und die über 100’000 Mutterkühe für die Fleischproduktion, die heute mit ihrer Milch ein Mastkalb säugen, würden durch Milchkühe ersetzt. Die Zahl der Kühe würde damit um 20 Prozent sinken, die Milchmenge sogar um 30 bis 40 Prozent, denn ohne Kraftfutter sinkt auch die Milchleistung pro Tier.

Weil es aber in der Schweiz so viele Wiesen und Weiden gibt, würde immer noch mehr Milch produziert, als die Bevölkerung aus Umweltsicht konsumieren sollte. Ein Teil der Milch würde deshalb exportiert – in Länder wie Deutschland, wo die grossen, ebenen Flächen besser für den Anbau von Ackerfrüchten direkt für die menschliche Ernährung genutzt würden als für die Milchproduktion.

Milch von Hefezellen statt der Kuh

Vielleicht ist aber auch die Milch ohne Kuh die Lösung. Inzwischen ist es möglich, Hefezellen so zu programmieren, dass sie Kuhmilchproteine in grossen Mengen herstellen. Das klingt zwar futuristisch, doch erste Produkte sind bereits auf dem Markt. So hat Nestlé vor einem Jahr in San Francisco versuchsweise eine «tierfreie» Milch verkauft. Auch Glace oder Frischkäse mit solchen mikrobiell produzierten Milchproteinen gibt es schon.

Präzisionsfermentation heisst das Verfahren. Dabei kopieren Forschende die Gene von Kühen, die den Bauplan für die Milchproteine enthalten, und fügen sie ins Erbgut von Hefezellen ein. In grossen Stahltanks, versorgt mit Stickstoff, Kohlenhydraten und Wasser, vermehren sich diese Zellen und sondern immer mehr Milchprotein ab. Gereinigt und getrocknet entsteht daraus ein weisses Pulver, das sich wie «echtes» Kuhmilchpulver verarbeiten lässt.

Im warmen Stahltank fühlen sich die Hefezellen wohl und vermehren sich schnell. (Bild: Peter Grotzinger CC-BY-SA-3.0)

Für die Umwelt scheint diese Produktionsart nur Vorteile zu haben: Die Mikroben brauchen viel weniger Platz, Futter und Wasser als Kühe. Und sie stossen kein Methan aus. Das Milchprotein aus dem Stahltank spart laut Studien 70 bis 90 Prozent an klimaschädlichen Gasen ein. Das ist viermal so viel, wie die Bauernhöfe im Projekt «Klimastar Milch» anstreben. Einziger Nachteil: die graue Energie für den Bau der neuen Anlagen.

Sind das also die Milchprodukte der Zukunft? Zumindest haben sie grosses Potenzial. Weil die Mikroben so effizient arbeiten, könnten tierfreie Milchprodukte schnell billiger werden. So hat das israelische Start-up Remilk angekündigt, noch in diesem Jahr Joghurt, Käse und Glace zum gleichen Preis wie konventionelle Milchprodukte verkaufen zu wollen.

Joghurt aus dem Bioreaktor ja, Milch nein

Fabian Wahl untersucht am Kompetenzzentrum für Landwirtschaft des Bundes, Agroscope, das Potenzial von Mikroorganismen in der Lebensmittelproduktion. Dass wir in der Schweiz in Zukunft vor allem tierfreie Milch aus dem Bioreaktor trinken, hält er für unwahrscheinlich.

Kuhmilch sei eine hochkomplexe Substanz, die aus vielen verschiedenen Proteinen und Fetten besteht. «Die alle einzeln nachzubauen und dann in der gleichen Menge wie im Original mischen, wäre viel zu aufwendig», sagt er. Bei höher verarbeiteten Produkten wie Joghurts oder Frischkäse sei es aber denkbar, dass sie künftig auch aus mikrobiell hergestelltem Milchprotein bestehen – oder aus einem Mix aus tierischen und mikrobiellen Zutaten.

Die Präzisionsfermentation kann laut Wahl nicht nur dazu beitragen, die Emissionen aus der Lebensmittelproduktion zu reduzieren. Sondern künftig auch helfen, die Folgen des Klimawandels auszugleichen. Etwa dann, wenn Kühe wegen der Hitze weniger Milch geben. «Wir brauchen Mikroben als Produktionssystem neben Pflanzen und Tieren», sagt der Lebensmittelexperte.

Allerdings: Bisher ist in Europa – anders als in den USA oder in Asien – noch kein einziges Produkt aus Präzisionsfermentation zugelassen worden. Bis es so weit ist, dürften in Europa noch zwei bis drei Jahre vergehen, schätzen Experten. In der Schweiz wird es wohl noch länger dauern. Und Kühe würden hierzulande so oder so weiterhin gebraucht, sagt Wahl. «Allein schon, weil sonst die vielen Wiesen verbuschen würden.»

Und dann stellt sich noch die Frage, wie gut die tierfreien Milchprodukte ankommen.

In der Schweiz sind die Konsumenten und Konsumentinnen skeptisch. So hat eine Umfrage des Gottlieb-Duttweiler-Instituts kürzlich ergeben, dass nur jeder Fünfte Lebensmittel mit Zutaten aus der Präzisionsfermentation überhaupt probieren würde.

Welche Art der Milchproduktion ist nun also die beste für die Umwelt? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Kühe vor allem auf nicht ackerfähigen Flächen fressen zu lassen und weniger Milch zu trinken, wäre ein guter Anfang. Und mit der Zeit gewöhnen wir uns vielleicht an mikrobiell hergestellte Milchprodukte.


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