Teller aus Palmblättern, Besteck aus Maisstärke: Bioplastik wird immer beliebter. Doch das oft verwendete Label «biologisch abbaubar» sagt nichts über die Ökobilanz aus. Ein neues Branchenpapier deckt Probleme auf.

Der Frühling ist da und damit beginnt auch Saison der Streetfood-Festivals. Bei Take-away-Mahlzeiten nicht wegzudenken: Einweggeschirr. Statt Plastikteller sind jedoch immer öfter solche aus Palmblättern oder beschichtetem Karton im Einsatz. Besteck gibt es aus Maisstärke oder Holz zu kaufen. Bei der Migros musste per 2021 sämtliches Einweggeschirr aus Plastik sogenannten Biokunststoff-Produkten weichen.
Beworben werden diese häufig mit Bezeichnungen wie «100 Prozent natürlich» oder «biologisch abbaubar». Dass das in mehrfacher Hinsicht problematisch ist, zeigt nun der Verband der Grüngutaufbereiter, Biomasse Suisse, in einem neuen Positionspapier auf. Gerade der Slogan «abbaubar» verleite dazu, das Geschirr ohne Bedenken in der Natur zurückzulassen.
Dabei würden gewisse Materialien nicht einmal in den Kompostier- oder Biogasanlagen vollständig zersetzt. «Die meisten Tests verlangen keinen kompletten Abbau, sondern geben sich mit 90 Prozent zufrieden, um das Label ‹biologisch abbaubar› zu vergeben», ist im 26-seitigen Papier zu lesen. Häufig würden Labels und Hinweise auf Verpackungen als reines Marketinginstrument eingesetzt, um Produkte vorteilhaft darzustellen.
Biogeschirr im Kompost muss von Hand aussortiert werden
Doch schneidet Plastik auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen in der Ökobilanz nicht automatisch besser ab als erdölbasierter: «Für viele Biokunststoffe liegt noch keine aussagekräftige Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus vor», schreibt Biomasse Suisse. Als sinnvoll gelten vor allem Materialien, die aus ohnehin anfallenden Reststoffen wie Palmblättern oder Zuckerrohrfasern gefertigt sind. Auch Geschirr aus recyceltem Karton schneidet in der Regel besser ab als herkömmliches Plastik.
Das wachsende Sortiment an Biokunststoff-Produkten stellt die Schweizer Grüngutaufbereiter aber noch vor ein dringenderes Problem: Ihre Arbeit wird immer komplizierter und mühsamer, weil sie Dinge aussortieren müssen, die nicht auf den Kompost gehören. Martin Leuenberger, Geschäftsführer des Grüngutverarbeiters Leureko und Vorstandsmitglied bei Biomasse Suisse, sagt: «Die Abfallmenge im angelieferten Grüngut wird jedes Jahr grösser.»
Der Verband fordert deshalb: Wenn überhaupt, sollten nur Produkte mit dem Hinweis «abbaubar» versehen werden, die auch tatsächlich in den Kompost gehören. Bioabfallbeutel und Lebensmittelfolien – gut erkennbar am Gitterdruck – sowie Pflanztöpfe. Bio-Einweggeschirr gehört nicht dazu.
Leuenberger sagt, seine Mitarbeitenden, die das Grüngut mit Greifzangen durchsuchen, müssten innert Sekunden entscheiden, was sie aussortieren. Das Problem: Biokunststoffe wie das aus Maisstärke oder Zuckerrohr gefertigte Polylactid (PLA) lassen sich optisch kaum von herkömmlichen Plastik unterscheiden. Und leider lande allzu oft auch das «falsche» Plastik in der Grüntonne.
Unternehmen will abbaubare Veloreifen lancieren
Die Co-Geschäftsführerin von Biomasse Suisse, Annelies Uebersax, sagt, man erhalte immer mehr Anfragen von Unternehmen, die Produkte aus abbaubarem Material lancieren wollen und fragen, wie diese in Grünanlagen entsorgt werden können. Darunter seien auch ausgefallene Vorschläge wie Laborkittel oder Velopneus. Uebersax sagt: «Die Unternehmen wollen etwas Gutes tun – doch oft fehlt ein vertieftes Verständnis für das Thema Nachhaltigkeit.»
Je komplexer ein Produkt ist, desto eher enthalte es auch nicht abbaubare Komponenten. Bei der Entsorgung über die Grüntonne gelangten diesen dann in die Umwelt. «Wenn nur ein Prozent der Komposterde verunreinigt aufs Feld kommt, sammelt sich über die Jahre immer mehr Mikroplastik im Boden an», sagt die Agrarwissenschaftlerin. Weil Biokunststoffe zudem kaum Nährstoffe enthielten, entstehe für den Kompost, der später in der Landwirtschaft oder im Garten gebraucht wird, kein Nutzen.
Wenn Festivalveranstaltende oder Restaurants ihr Bio-Einweggeschirr dennoch kompostieren lassen wollen, müssten sie das vorher mit der lokalen Grüngutanlage absprechen und sicherstellen, das Geschirr sortenrein zu sammeln, sagt Uebersax. «In der Praxis funktioniert das nur mit einem Depotsystem.» Doch die Biokunststoffe sollten keinesfalls als Alternative zum Plastik angesehen werden, sondern vielmehr als Übergangslösung. «Der Aufbau von Mehrweg- und Recyclingsystemen hat erste Priorität», steht denn auch im Positionspapier.
Badenfahrt-OK suchte erfolglos nach geeignetem Anbieter
In der EU gilt seit Anfang Jahr eine Mehrweg-Angebotspflicht für die Gastronomie. In der Schweiz gibt es keine Regelung auf nationaler Ebene, jedoch in einzelnen Kantonen und Städten. So gilt in der Stadt Basel bereits seit 2019 eine Mehrweggeschirr-Pflicht für sämtliche Verkaufsstände im öffentlichen Raum. Der Kanton Genf verbietet den Gebrauch von Einwegplastik in Restaurants und Take-away-Diensten ab 2025.
Die Stadt Baden verbietet seit Juni 2022 den Gebrauch von Einwegplastik – auch Bioplastik – an mehrtägigen Veranstaltungen. Mit der Badenfahrt, einem der grössten Volksfeste der Schweiz, steht im Sommer so etwas wie die Generalprobe für die neue Praxis an. Und bereits jetzt ist klar, dass das Verbot nicht vollständig eingehalten wird. Der Verantwortliche für das Ressort Festwirtschaften, Bruno Brändli, sagt, das Organisationskomitee habe versucht, komplett auf Mehrweggeschirr umzustellen. Getränke würden, wie bereits an der Badenfahrt 2017, in Mehrwegbechern ausgeschenkt.
Beim Essgeschirr habe sich jedoch kein Anbieter finden lassen, der das gesamte Sortiment stemmen könnte. So würden für die verschiedenen Festbeizen viele verschiedene Teller benötigt. Mit über 100’000 Mahlzeiten pro Tag müssten zudem riesige Mengen an Gefässen im Umlauf sein. An der diesjährigen Badenfahrt komme deshalb Einweggeschirr aus Karton und Zuckerrohrfasern zum Einsatz. Wo möglich, soll nur eine Serviette oder ein Stück Wachspapier verwendet werden.
Bioplastik noch nicht für Mehrwegsystem geeignet
In der Take-away-Gastronomie hat sich die Firma Recircle als Marktführer etabliert. Täglich wandern in der Schweiz rund 60’000 Menüs in deren violetten Boxen über die Theke. So etwa in allen Migros- und Manor-Restaurants. Das Start-up bietet seine Produkte ausschliesslich für den Alltagsgebrauch und nicht für Veranstaltungen oder Festivals an.
Recircle-Chefin Jeannette Morath sagt, es gebe in der Schweiz mindestens drei oder vier professionelle Unternehmen, die Mehrweglösungen auch für grosse Veranstaltungen anbieten. Das habe sich auch beim Fête de Vignerons oder dem Gurtenfestival gezeigt. Morath, die lange in der Abfallentsorgung und Recyclingabteilung der Stadt Bern arbeitete, sagt: «Das Mühsamste ist die Verhaltensänderung – angefangen beim Organisationsteam.»
Sämtliche Mehrweggefässe von Recircle sind aus erdölbasierten Kunststoffen gefertigt. Noch gebe es keinen Biokunststoff, der genug robust für das Mehrwegsystem und zudem mikrowellenfest sei, sagt Morath. «Grundsätzlich gilt: Je länger ein Gefäss im Umlauf bleibt, desto ökologischer ist es.» Gemäss verschiedener Berechnungen ist der CO2-Fussabdruck der violetten Box nach 15 Nutzungen kleiner als jener einer durchschnittlichen Einwegverpackung.
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