Damit jeder Schlag sitzt

Stefan Freiermuth übt einen Beruf aus, den man nicht lernen kann: Trommelbauer. Schon als Bub tüftelte er am «perfekten» Instrument. In seinem Geschäft im Kleinbasel bringt er das Handwerk Jungtambouren wie dem 14-jährigen Jonas Viani näher.

erschienen in der bz am 18. Februar 2023

Dass er nervös ist, ist Jonas Viani nicht anzumerken. Denn wie alle Tambouren der Basler Bebbi, die an diesem Abend auf die Bühne des Cliquenkellers steigen, verbirgt eine Larve das Gesicht des 14-Jährigen. Dazu trägt er ein weisses Sennenhemd und Culottes.

Acht Mal wippt Jonas die Schlegel bedächtig in beiden Händen. In Gedanken durchläuft er die schwierigste Passage des Trommelmarsches, den er seinen Gspänli – darunter auch der Grossvater und der Vater – gleich vorspielen wird. Schon vibriert das Trommelfell unter seinen Schlägen.

Video: zvg

Auch ohne Siegertrophäe ist es für Jonas an diesem Abend Mitte Januar ein spezieller Auftritt: Es ist der Erste mit der eigenen Trommel. Zuvor hatte er immer auf Miettrommeln gespielt, die kleiner dimensioniert sind als jene der Erwachsenen. Noch ragt ihm seine neueste Errungenschaft weit über die Knie, sodass er damit noch nicht am Cortège mitmarschieren kann.

2900 Franken kostete die Alutrommel, inklusive Trommelsack und Bandalier, dem ledernen Traggurt. Es ist Jonas’ mit Abstand grösste Investition. Sämtliches Geburtstags- und Weihnachtsgeld legte er auf die Seite. Der Vater gab ihm einen grossen Batzen zur Konfirmation. Und er erhielt einen Rabatt, den er sich selbst erarbeitete.

Bis kurz vor dem Bryysdrummle zerlegte der 14-Jährige nämlich in der Werkstatt der Schlebach AG im Kleinbasel zig Trommeln in ihre Einzelteile.

Praktikant Jonas Viani tauscht die Saiten einer Trommel aus. (Bild: Roland Schmid)

Im Geschäft von Stefan Freiermuth machte er ein viertägiges Praktikum. Zehn bis 15 Jungtambouren kommen jährlich vorbei, um das Handwerk hinter ihrem Instrument näher kennen zu lernen.

So viele Bestellungen wie noch nie

Wer den Laden gleich neben dem Restaurant zum Rebhaus betritt, merkt schnell, dass hier viel läuft: Dicht an dicht stehen Trommeln überall im Laden, bis vors Schaufenster. Nebst den klassischen Metalltrommeln warten auch viele Holztrommeln – beige, dunkelbraune oder rot gebeizte – auf ihre Besitzer.

Dutzende Trommeln stehen im Trommelbauladen im Kleinbasel zur Abholung bereit. (Bild: Roland Schmid)

Stefan Freiermuth, der zuletzt als Gewinner des Basler wie auch des Baselbieter Bryysdrummle auf sich aufmerksam machte, sagt, dass noch nie so viele Bestellungen für neue Trommeln eingegangen seien wie im vergangenen Jahr. Der gebürtige Zeininger, der heute in Frenkendorf BL wohnt, vermutet, dass sich nach Corona viele etwas gönnen wollen.

Mit Unterstützung der Presse zieht Stefan Freiermuth bei einer Trommel die Seile nach. (Bild: Roland Schmid)

Nebst dem Rekord an Einzelbestellungen gingen drei Grossaufträge ein, deren zwei von Basler Fasnachtscliquen. Die Kleinbasler Rätz-Clique bestellte zum 100-jährigen Jubiläum 44 neue Trommeln. Diese verliessen den Laden vor wenigen Tagen.

Nun, da die Fasnacht näher rückt, wollten zudem viele ihr Instrument fit machen lassen: Die Seile spannen, ein neues Fell anbringen oder neue Saiten aufziehen.

Jungtambouren sollen Instrument verstehen

Das Arbeitstempo in der Werkstatt im hinteren Teil des Ladens ist entsprechend hoch. Kaum ist eine Trommel fertiggestellt, nimmt Freiermuth bereits das nächste Auftragsblatt zur Hand. Viele weitere Zettel kleben an den Fensterscheiben. Alle paar Minuten läutet das Telefon oder die Glocke an der Eingangstüre.

Trotz des grossen Zeitdrucks ist es Freiermuth wichtig, weiterhin Praktika anzubieten. Der 33-Jährige sagt: «Ich finde es wichtig, dass Jungtambouren besser übers Instrument Bescheid wissen.» Er mache aber allen von Anfang an klar, dass er keine Schnupperlehren anbiete. Trommelbauer ist denn auch kein Beruf, den man mit einer Berufslehre lernen kann.

Die Männer, die dem Handwerk professionell nachgehen, sind an zwei Händen abzuzählen. Neben der Schlebach AG gibt es in Basel den Büchler Trommelbau und eine weitere Werkstätte in Burgdorf BE.

Pascal Kottmann ist gelernter Grafiker und verziert die Trommelkörper je nach Wunsch mit speziellen Logos. (Bild: Roland Schmid)

Freiermuth beschäftigt zwei feste Mitarbeiter in seinem Geschäft. Pascal Kottmann – bekannt als mehrfacher Blaggedde-Künstler – habe er über viele Jahre hinweg an der Fasnacht kennen gelernt. Der dritte Trommelbauer, Marc Hutter, spielt wie der Chef bei den Chriesibuebe, einer Spitzentambouren-Clique.

Vertieft in die Arbeit stehen Freiermuth, Kottmann und Jonas um den grossen Tisch in der Werkstätte. Jonas schlauft ein neues Kunstfaserseil durch die Löcher in den Reifen einer Trommel.

14,5 Meter Seil braucht es, um die beiden Felle unter Spannung zu setzen. Es ist eines der Merkmale der Basler Trommel: Sie ist seilgespannt, nicht schraubgespannt wie etwa Schlagzeugtrommeln.

Jonas fädelt das Seil in eine Trommel des Schweizer Militärs ein. (Bild: Roland Schmid)

Während dieser Schritt bei den Profis fünfzehn Minuten dauert, muss Jonas die Handgriffe erst üben. «Stopp!», ruft Freiermuth. Aus Versehen hat der 14-Jährige das Seil von der falschen Seite her eingefädelt.

Er habe schon als Zehnjähriger zu Hause Trommeln auseinandergebaut, erzählt Freiermuth. «Ich fand in keinem Geschäft eine Trommel, die mir gepasst hat.» Auf der Suche nach dem perfekten Klang habe er zusätzliche Saiten montiert oder daran getüftelt, wie die Kante des Trommelkörpers abgeschliffen sein muss, damit die Saiten besser aufliegen.

Beim Klang ist noch mehr rauszuholen

Im dritten Lehrjahr als Schreiner wurde Freiermuth vom damaligen Geschäftsführer von Schlebach, Peter Ammann, angefragt, ob er als Trommelbauer einsteigen wolle. Drei Jahre später erhielt er als 23-Jähriger das Angebot, das Geschäft zu übernehmen.

Es dauerte nicht lange, bis er ersten Neuerungen ins Handwerk einbrachte. Die hölzerne Variante der Basler Trommel, traditionell aus Buchenholz gefertigt, baute Freiermuth mit vielen anderen Holzarten. Nebst einheimischen Sorten wie Nussbaum oder Eiche setzte er auch die Edelhölzer roter Eukalyptus oder Tamo-Esche, bekannt aus dem Möbelbau, ein.

Die Trommelkörper baut Freiermuth aus vielen verschiedenen Hölzern. (Bild: Roland Schmid)

Entstanden ist daraus ein neues Geschäftsmodell. Spitzentambouren besässen heute fünf, sechs, sieben Trommeln, sagt Freiermuth.

Das Trommelniveau steigt und steigt

Vor allem in den leisen Tönen besteht noch Optimierungspotenzial, findet der mehrfache Trommelkönig. Sein Wunsch ist, dass die Trommel den Tambour im Piano besser stützt. Diese Töne sollen nicht ganz so sec klingen, sondern etwa mehr «grällele», also nachschwingen.

Gerade teste er dazu wieder eine neue Beschichtung für die Metallsaiten. «Gewisse meinen wohl, wir spinnen, gäll», sagt er und lacht.

Der mehrfache Trommelkönig tüftelt daran, wie seine Holztrommeln in den tiefen Tönen noch besser klingen. (Bild: Roland Schmid)

Doch fällt ihm auf, dass immer mehr Tambouren im Geschäft genauer wissen wollen, wie das Instrument gebaut wird. Die feinere Spieltechnik und der Trommelbau hätten sich gegenseitig hochgeschaukelt. Lukas Minder, Chefjuror am Basler Bryysdrummle, bestätigt dies.

Das Klangspektrum habe sich in den vergangenen zehn Jahren extrem weiterentwickelt. Mit dem starken Trend zur Holztrommel hätte sich vor allem bei den leisen Tönen viel getan. Es sei noch nicht lange her, da habe das Instrument, mit dem Schlegel im Zentimeterabstand zum Fell angeschlagen, noch keinen Ton zurückgegeben. Heute sei das möglich, wenn man die technischen Fähigkeiten mitbringe.

Tambouren sind treue Kundschaft

Die Suche nach neuen Kniffen, die den Klang weiter verbessern, treibt Freiermuth an. Das Gros der Aufträge fällt jedoch für die tausenden Schweizer Tambouren in den Fasnachtscliquen und Vereinen an, bei denen nicht das «perfekte» Trommeln, sondern vielmehr der Spass und das gesellige Zusammensein im Vordergrund steht.

Angst, dass seine Trommeln plötzlich nicht mehr gefragt sind, hat Stefan Freiermuth keine. (Bild: Roland Schmid)

In Basel gibt es um die 4000 Tambouren, schätzt das Fasnachts-Comité. Beim Schweizer Tambourenverein sind weitere 5900 angemeldet, die meisten von ihnen sind im Wallis und in der Innerschweiz zu Hause. Freiermuth sagt, er mache sich keine Sorgen, dass sein Geschäft einst nicht mehr rentiert.

Ein Vorteil des kleinen Marktes sei zudem, dass er keine Konkurrenz aus dem Ausland fürchten müsse. In der Werkstatt versucht Freiermuth mit seinem Team möglichst jeden Arbeitsschritt selbst durchzuführen – auch Gravurarbeiten oder die Trommelfelle aufziehen.

Die Vorfreude auf den Cortège

Der körperlich anstrengendste Schritt ist das Nachziehen der Seile an der Presse, das «Schränken». Pro Tag und Mitarbeiter fallen jetzt in der Vorfasnachtszeit gut 20 bis 30 Trommeln an. Das geht in den Rücken. Im Moment gehe er deshalb mindestens einmal pro Woche in die Physio, sagt Freiermuth.

An den drey scheenschte Dääg wird keiner der drei Trommelbauer in der Werkstatt stehen. Den Notfallservice schmeissen Aushilfen, damit sie Fasnacht machen können.

Auch Jonas wird mit den Basler Bebbi unterwegs sein. Wettspiele würden ihn zwar anspornen, das Beste aus sich herauszuholen. Der Cortège sei aber immer noch der coolste Auftritt, auch wenn er dort vorerst noch auf die Miettrommel zurückgreifen muss. Er sagt: «Die Atmosphäre, wenn wir alle zusammen spielen, ist unbeschreiblich.»


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