Nach 36 Jahren an der Schule Spreitenbach geht Schulleiter Hannes Schwarz in Pension. Uns erzählt er, warum er bei der Integration von Kindern mit ADHS an Grenzen stiess und wie er mit Eltern umging, die sich wie Kunden fühlen.
erschienen im Badener Tagblatt am 24. Juni

Auf dem Gang im Schulhaus Haufländli in Spreitenbach herrscht am Dienstagnachmittag reger Betrieb. Zwei Lehrerinnen packen mit ihren Klassen Kisten voller Schulmaterial aus. Bald beginnen die Sommerferien. Vorher gilt es, die neuen Hefte und Schulbücher auf die Klassenzimmer zu verteilen.
Derweil ist durch die verglaste Tür zu sehen, wie Schulleiter Hannes Schwarz in seinem Büro konzentriert am Computer arbeitet. Statt Einräumen steht für ihn das grosse Ausräumen an: Nach 36 Jahren an der Schule Spreitenbach – davon 13 Jahre als Lehrer, vier Jahre als Rektor und Lehrer gleichzeitig und zuletzt 19 Jahre als Schulleiter – verabschiedet sich Schwarz Anfang Juli in die Pension.
Begeisterung für Schule wuchs durch Seitensprung
Als er 1973 als 16-Jähriger ins Lehrerseminar eingetreten sei, habe er dies weniger aus Überzeugung für den Beruf getan, erinnert sich der 64-Jährige, der in Neuenhof aufwuchs. Sondern: «Es war ein Bubenentscheid.» So habe er gleichzeitig die Matur und ein Berufsdiplom erwerben können.
Schwarz unterrichtete zunächst sechs Jahre als Seklehrer, arbeitete dann ein Jahr lang in einer Informatikfirma. Er sagt: «Erst bei meinem Abstecher in die Privatwirtschaft habe ich gemerkt, wie lebensnah und abwechslungsreich die Arbeit an der Schule ist.»
Damals sei es jedoch noch schwer gewesen, eine Stelle als Lehrer zu finden. Als 1986 an der Schule Spreitenbach ein Posten frei wurde, packte Schwarz die Chance und blieb bis heute. 1987 zog er mit seiner Familie ins Dorf.
Aus seiner Zeit als Lehrer überwiegen die Erinnerungen an Schulreisen und -lager. In den Lagern habe er jeweils auch Arbeitseinsätze organisiert. Auf Alpwiesen habe er mit seiner Klasse gekrampft, Steine und Äste eingesammelt. Er sagt: «Wenn ich heute an diesen Orten vorbeifahre, meine ich immer noch zu sehen, was wir einst geleistet haben.»
Schulleiter: «Ohne Kleinklasse ist Schule solidarischer»
2003 trat Schwarz der neu geschaffenen Schulleitung bei. Seither hat er an der Schule unzählige Projekte begleitet, darunter auch grosse Reformen. Ein Meilenstein: der Umstieg auf ein integratives Schulsystem im Sommer 2009. Im ersten Schritt schaffte Spreitenbach die Einführungsklassen der Primar und die Kleinklassen ab.
Er habe damals heftig für diesen Entscheid votiert, erzählt Schwarz. «Die Kleinklasse hatte etwas von einem ‹Ghetto›, schwache Schülerinnen und Schüler wurden quasi abgeschoben.»
Grosse soziale Spannungen in diesen Klassen waren für Schwarz die logische Folge. Er erklärt: «Wenn ich schon nicht gut in der Schule bin, bin ich wenigstens frech. Und wenn alle meine Kollegen mitmachen, sind wir eine coole Truppe.»
Klar habe die Integration der Kleinklässler das Schulniveau insgesamt etwas gesenkt, sagt Schwarz rückblickend. Gleichzeitig habe man dadurch aber ein breiteres, solidarisches Tragen der Belastungssituation erreicht.
Lektionenzuteilung fühlt sich an wie Triage
Kinder mit Benachteiligungen in der Primarschule zu integrieren, stelle die Schule dagegen bis heute vor grosse Herausforderungen, sagt Schwarz. Weil viele Spreitenbacher Kinder fremdsprachig aufwachsen und beim Schuleintritt weniger gut Deutsch sprechen als anderswo, sei die Grundbelastung in den Klassen hoch. Deshalb sei es noch anspruchsvoller, Kinder zu integrieren, die andere Handicaps mitbringen, etwa ADHS oder kognitive Behinderungen.
Gleichzeitig führe der kantonale Trend dorthin, immer mehr Schüler in die Regelklasse aufzunehmen. «Wir können gar nicht so viele Heilpädagogen ins Klassenzimmer stellen. Für das haben wir die Ressourcen nicht – einmal abgesehen vom Fachkräftemangel», so der Schulleiter.
Seit drei Jahren zahlt der Kanton den Volksschulen nämlich nicht mehr auf Antrag für jedes Kind einzeln Fördergeld aus, sondern überweist eine Pauschale pro Kind und Gemeinde. Diese stützt sich auf den Ausländeranteil sowie die Sozialhilfe- und Arbeitslosenquote am jeweiligen Schulort. In Spreitenbach wird das Budget für Fördermassnahmen seither immer wieder knapp.
Schule wird zum Dienstleistungsbetrieb
Die vom Kanton bezahlten Ressourcen jedes Schuljahr neu zu verteilen, habe das sechsköpfige Schulleitungsteam vor viele schwierige Entscheide gestellt, sagt Schwarz. «Es fühlt sich an wie eine Triage, zu sagen: Dieses Kind bekommt die Förderlektionen nicht mehr, dafür ist jetzt ein anderes Kind dran.»
Gleichzeitig seien die Erwartungen der Gesellschaft an die Schule in den vergangenen zwanzig Jahren stark gestiegen. «Heute werden wir als Dienstleistungsbetrieb wahrgenommen. Die Eltern sehen sich oft als Kunden», beschreibt er die Situation absichtlich überspitzt.
Den Grund für dieses Denken sieht Schwarz vor allem in einer gesteigerten Konsumhaltung: «Ich zahle Steuern, also will ich auch eine Gegenleistung dafür bekommen – und zwar eine, die für mich passt.»
Vorfreude auf Galastimmung an Abschlussfeier
Im Spannungsfeld zwischen Politik, Eltern und Budgetfragen war für den langjährige Schulleiter vor allem eines wichtig: möglichst gute Arbeitsbedingungen zu schaffen – für die Lehrpersonen wie auch für die Schülerinnen und Schüler.
Trotz der hohen Belastung dürfe die Schule Spreitenbach auf viele treue Lehrpersonen zählen. Schwarz sagt: «Wer sich den Herausforderungen hier stellt, macht das nicht einfach so, sondern aus Überzeugung, dass es eine wichtige Aufgabe ist.»
Bei der Organisation von Anlässen habe er sich deshalb umso mehr bemüht, die Lehrpersonen hin und wieder mit einer «kulturellen Perle» zu verwöhnen. Ein Highlight steht nun noch bevor: Am kommenden Donnerstag findet die Schulschlussfeier statt. «An diesem Abend putzen sich alle besonders heraus. Die Familie schaut stolz zu, wie ihre Kinder zu jungen Erwachsenen herangewachsen sind», beschreibt Schwarz den Moment.
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