Die Arbeit als Chauffeur ist komplexer als sie scheint. Wir haben Daniel Camenzind während einer Schicht auf der Linie 20 von Luzern nach Ennethorw begleitet.
erschienen in der Luzerner Zeitung am 26. Juli 2022

Daniel Camenzind gehört zu jenen Buschauffeuren, die ihre Passagiere per Lautsprecherdurchsage grüssen. Jede Busrunde aufs Neue. Das tönt so:
Nebst seiner morgendlichen Durchsage hat sich Camenzind auch einen passenden Gruss für die Mittagszeit und den Feierabend überlegt. Der 47-Jährige aus Adligenswil sagt: «Ich finde, alle Passagiere haben das Recht, begrüsst zu werden.»
Den Gästen ein angenehmes Fahrerlebnis zu bereiten, gehört für ihn zum beruflichen Selbstverständnis. Das Echo sei mal grösser, mal kleiner. Einmal habe nach einer Durchsage der ganze Bus geklatscht.
Mit dem Busfahren einen Bubentraum verwirklicht
Den Kontakt zu den Passagieren, bezeichnet Camenzind als eine der schönsten Seiten des Chauffeur-Jobs. Gleichzeitig sei dieser einer der grössten Knackpunkte. Er kenne viele frischgelernte Chauffeure, die den Beruf schon nach kurzer Zeit wieder aufgeben, sagt Camenzind.
Nicht allen gelinge es gleich gut, mit den Marotten der Buspassagiere umzugehen. So erklärt Camenzind sich auch, dass Gastroangestellte in der Branche viel eher Fuss fassen als etwa Lastwagenchauffeure. Seine Vergangenheit als Verkäufer helfe ihm, bei unangenehmen Begegnungen im Bus, Ruhe zu bewahren.
Über zwanzig Jahre arbeitete Camenzind im Aussendienst, verkaufte zunächst Software, dann Autos auf Provisionsbasis. Monat für Monat die vorgegebenen Zahlen zu erreichen, stresste ihn jedoch zunehmend. Irgendwann wurde der Druck zu gross. So entschied er sich, Buschauffeur zu lernen.
Über 300 Chauffeusen und Chauffeuren arbeiten bei den Verkehrsbetrieben Luzern. Sie halten das eng getaktete Busnetz am Laufen. Camenzind arbeitet Vollzeit, ist ein Rädchen im Getriebe. Seine Arbeitstage verteilt er wenn möglich auf zwei Schichten, mit einer dreistündigen Pause über Mittag. So könne er sich zwischendurch gut erholen.
Ohne Sicherheitscheck darf der Bus nicht auf die Strasse
Den Nachmittagsdienst tritt der Chauffeur eine halbe Stunde vor der offiziellen Abfahrtszeit an. Im Busdepot nimmt er sein Fahrzeug in Empfang und beginnt mit der Sicherheitskontrolle. Seitenspiegel richtig Ausrichten. Das Profil der Pneus kontrollieren. Den Schliessmechanismus der Türen testen.
Camenzind raucht noch eine Zigarette und hält einen kurzen Schwatz mit dem Chauffeur vom Bus nebenan. Dann steigt er in die Kabine und reiht sein Fahrzeug in den Feierabendverkehr ein. Heute ist er für die Linie 20 von Luzern Bahnhof nach Horw eingetragen. Auf dieser Strecke unten im Bild fährt alle sieben Minuten ein Bus.

⦿ Luzern Bahnhof
16:52 Uhr. Drei Minuten zu früh fährt Camenzind am Bahnhofsplatz ein. Eine Traube von Passagieren steigt ein und verteilt sich auf den Sitzen.
Kaum hat der Chauffeur den Bus über die Kreuzung vor der Seebrücke gelenkt, greift er zum Mikrofon und macht seine erste Durchsage. Eine ältere Frau erwidert den Gruss. Camenzind bedankt sich. Er hat ein Lächeln auf den Lippen.
⦿ Kantonalbank
Linker Seitenspiegel. Rechter Seitenspiegel. Rückspiegel. Und gleich nochmal.

Auf der Pilatusstrasse ist viel los. Camenzind stellt den Blinker. Ein Velo schlängelt sich in letzter Sekunde am Bus vorbei. Eine Fussgängerin springt auf die Strasse. In den ersten Wochen sei er nach der Arbeit so müde gewesen, dass er kaum noch Energie hatte, etwas zu unternehmen, sagt Camenzind.
⦿ Pilatusplatz
Eine alte Frau mit Gehstock steigt vorne ein. Der Chauffeur wartet, bis sie sitzt. Rentnerinnen und Mütter mit kleinen Kindern sitzen am häufigsten auf der Sitzreihe neben der Fahrerkabine.
Während dem Fahren darf sich der Chauffeur nicht auf Gespräche mit den Passagieren einlassen. So steht es im Regelbuch. Auch Camenzind ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf der Strasse zu behalten. Wenn jemand ein grosses Mitteilungsbedürfnis hat, bemühe er sich dennoch, zuzuhören.
⦿ Eichhof
Ein bärtiger Mann mit verwaschenem Hemd und einer Bierdose in der Hand steigt aus. Er läuft vor dem Bus über den Fussgänger, dreht sich um und zeigt Camenzind den Mittelfinger. Dieser muss kurz lachen. Auch solche Reaktionen würden zum Job dazugehören. «Ein Randständiger», sagt er. Er habe das bestimmt nicht persönlich gemeint, darum denke er auch nicht länger darüber nach.
Während der Pandemiezeit wurde der Chauffeur vermehrt zur Zielscheibe der Kritik. Fahrgäste beschwerten sich bei ihm, dass andere Mitfahrende die Maske nicht richtig tragen würden. Einmal kam ein Fahrgast gar nach vorne zur Fahrerkabine und drohte damit, die Polizei zu rufen.
Er habe sich zwar bemüht und Passagiere darauf hingewiesen, wenn sie keine Maske trugen, so Camenzind. Dennoch: «Ich habe eine Transportpflicht und muss alle Menschen mitnehmen.»
⦿ Zihlmattweg
Camenzind setzt den Blinker. Auto um Auto fährt am Bus vorbei. Ein Lastwagen lichthüpelt. «Die wissen, was es heisst, so ein grosses Gefährt zu wenden», sagt er. Der Bus rollt. Noch leuchtet das Display grün, Camenzind ist im Zeitplan. An anderen Tagen sitze er über vierzig Minuten auf den verstopften Strassen fest. Auch das gehöre zum Beruf. Er studiere dann jeweils die Häuserfassaden.
⦿ Kirchweg
In Horw lenkt Camenzind den Bus leichthändig zwischen Kolonnen parkierter Autos hindurch. In vier Jahren Berufszeit hat er noch nie einen Hick an einem Fahrzeug hinterlassen.
Heikel sei nicht der über zwanzig Meter lange zweigelenkige Bus, sondern jener mit einem Gelenk. «Der schert nach hinten viel mehr aus», so Camenzind. Anfangs sei er noch vorsichtig gefahren, heute habe er die Masse der Busse im Gefühl.
⦿ Horw Zentrum
Pünktlich trifft Camenzind in Horw ein. Kurz muss er sich konzentrieren. Denn jedes zweite Mal fährt er noch vier Haltestellen weiter bis Ennethorw. Auf dieser Runde dreht er schon in Horw.
Nicht nur die Strecke der Buslinie 20, sondern auch jene der anderen 33 Linien hat Camenzind im Kopf. Sie auswendig zu lernen, war Teil des einmonatigen Fahrtrainings. Im Bus gibt es kein Navigationssystem.

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